Vier verbreitete Irrtümer bei der Bewertung von Unternehmen
Verkäufer schätzen den Wert ihres Verkaufsguts höher ein als potenzielle Käufer. Diese Feststellung wird niemanden überraschen und muss auch nicht weiter erklärt werden. Für das Zustandekommen einer Transaktion ist entscheidend, dass beide Seiten sich in die Sichtweise und Argumentationen der Gegenseite einfühlen und in der Preisfindung angemessen berücksichtigen können. Das ist wiederum nur möglich, wenn sachlich korrekte Argumente vorgelegt werden. Leider existieren im Feld der Unternehmensbewertung einige weit verbreitete Irrtümer, die sich hartnäckig halten und Diskussionen bezüglich Preisfindung erschweren. Im Folgenden werden vier Argumente von Firmenverkäufern aufgeführt, welche immer wieder ins Feld geführt werden, obwohl sie auf falschen Annahmen fussen.
Argument 1: «Ich habe so viel Arbeit reingesteckt»
Dieser Aussage liegt der Gedanke zugrunde, dass der Wert eines Wirtschaftsguts der Summe aller damit in Zusammenhang stehenden Aufwände entspricht. Dieser Gedanke ist im Grunde genommen korrekt. Schliesslich ist jedes Erzeugnis und jede Dienstleistung nichts anderes als die kunstvolle Verbindung von verschiedenen Inputfaktoren wie Rohmaterialien, Arbeit, Kapital und Zeit. Gerade bei physischen Produkten wird der Preis des Erzeugnisses gerne mit den Kosten der Inputfaktoren begründet.
Die Fehlüberlegung schleicht sich beim Kriterium der Wertvermehrung ein. Nur Inputs, die den Wert des Wirtschaftsguts direkt oder indirekt vermehren, sind bei der Wertbestimmung von Relevanz. Wenn es sich bei dem Wirtschaftsgut um ein Unternehmen handelt, dann wird sich jeder wertvermehrende Input früher oder später in Form von höheren Umsätzen und/oder tieferen Kosten manifestieren und sich entsprechend positiv auf den Gewinn auswirken. Wenn aber der Input keinen dieser Effekte bewirkt, dann kann er bei der Unternehmensbewertung nicht berücksichtigt werden. Sehr hohe Arbeitspensen von Unternehmern bei gleichbleibenden oder gar schrumpfenden Gewinnen weisen eher darauf hin, dass das Geschäftsmodell Schwächen aufweist oder dass es im Unternehmen Ineffizienzen gibt, welche nicht adressiert werden. Beide Umstände wirken sich auf den Unternehmenswert negativ aus.
Argument 2: «Es hat so viel Potenzial»
Jeder Unternehmer erkennt Potenziale, wenn er seinen Betrieb unter die Lupe nimmt. Man könnte das Sortiment ausweiten, die Werbung intensivieren, geographisch expandieren oder die Prozesse und Abläufe effizienter gestalten. Allein dass diese Möglichkeiten bestehen, reicht manchen Firmeninhabern als Anlass, potenzielle künftige Ertragssteigerungen bereits heute in den Unternehmenswert einzupreisen.
Hier gilt dasselbe wie beim obigen Argument. Der zugrundliegende Gedanke ist nicht falsch, aber zu kurz gegriffen. Es interessiert den Käufer, ob das Geschäft ausgebaut werden kann und wie sich das auf den Geschäftsgewinn auswirken würde. Er wird aber ein Potenzial nur dann in die Preisfindung einfliessen lassen, wenn:
- Bereits konkrete Schritte zwecks Realisierung des Potenzials unternommen worden sind. Beispiel: Der Unternehmer hat bereits eine zweite Filiale eröffnet und beworben, aber die Umsätze sind noch nicht da, wo sie sein müssen, oder
- Aus nachvollziehbaren Gründen noch keine Schritte zwecks Realisierung unternommen worden sind, aber das Potenzial offensichtlich, mit geringem Aufwand und Risiko umsetzbar ist und in absehbarer Zeit einen finanziellen Mehrwert generiert.
Reine Potenziale, deren Realisierung zeitliche und finanzielle Ressourcen benötigt und risikobehaftet sind, haben bei der Berechnung des aktuellen Unternehmenswerts leider keinen Platz. Allerdings können sie die Kaufmotivation des Interessenten erhöhen und möglicherweise Eingang in ein Earn out finden.
Argument 3: «Von Null beginnen würde mehr kosten»
Der Kauf eines Unternehmen ist immer eine von mehreren Optionen des Käufer, sein Ziel zu erreichen. Er könnte zum Beispiel auch ein Unternehmen in derselben Branche gründen und aufbauen. Der Vergleich dieser beiden Szenarien verleitet manchen Unternehmer zur Herleitung des Unternehmenswert, indem er die Kosten des «Nachbaus» seines Unternehmens addiert. Gerade bei kapitalintensiven Firmen in hart umkämpften Märkten kommt da oft eine stattliche Summe zusammen.
Auch hier gilt, dass der Gedanke nicht völlig fehl geht. Kaufen ist risikoärmer als gründen und weniger Risiko bedeutet höhere Preise. Das kann die Kaufmotivation erhöhen, insbesondere bei risikoaversen Personen oder Quereinsteigern. Die in Frage stehende Investition mit ihrem Rendite- und Risikoprofil muss sich aber nicht (nur) mit der Option einer «Neugründung» vergleichen lassen, sondern mit allen Investitionsalternativen. Vielleicht steht ein ähnliches Geschäft zu einem deutlich tieferen Preis zum Verkauf. Vielleicht besitzt der Käufer bereits eine Firma und könnte das Geld darin gewinnbringend investieren. Im jeden Fall aber stehen klassische Investitionsmöglichkeiten wie Immobilien und Aktien zur Verfügung. Wenn das Risiko-/Renditeprofil des zum Verkauf stehenden Unternehmens in einem deutlichen Missverhältnis zu diesen Alternativen steht, dann wurde der Unternehmenswert überschätzt. Dies auch dann, wenn der Nachbau der Firma sogar mehr kosten würde.
Argument 4: «Vermischung von Ertragswert- und Substanzwert»
Für die Bewertung eines Wirtschaftsguts können zwei verschiedene Ansätze verfolgt werden. Bei der substanzbasierten Herangehensweise betrachtet man den materiellen Wert der Aktiven und subtrahiert die Passiven, um zum Wert zu gelangen. Für die Bewertung von Unternehmen bedeutet das, dass man sich auf die Bilanz konzentriert. Bei der ertragsbasierten Herangehensweise schaut man auf die Ertragsüberschüsse, welche das Wirtschaftsgut generiert, setzt sie in ein Verhältnis mit den damit verbundenen Risiken (Kapitalisierungssatz) und erhält so den Wert. Bei Unternehmen liegt der Fokus bei dieser Methode auf der Erfolgsrechnung. Nicht selten werden diese Ansätze vermischt bzw. kumulativ ins Feld geführt. Man argumentiert dann, dass der Ertragswert sich bloss aus den Gewinnen herleite, beim Kauf des Unternehmens aber auch Aktiven wie Sachanlagen, Warenvorräte, angefangene Arbeiten, Forderungen und flüssige Mittel mitübernommen würden. Dies sei nochmals separat zu entschädigen.
Diese oft ins Feld geführte Argumentationskette missversteht die Logik der beiden Bewertungsansätze. Sowohl Substanz- als auch Ertragswertverfahren dienen demselben Zweck, nämlich der Bewertung des Eigenkapitals der Unternehmung. Zum berechneten Ertragswert kann nur sogenannte Überschuss-Substanz addiert werden. Dabei handelt es sich z.B. um betriebsfremde Aktiven wie Wohnimmobilien oder Aktien oder um genuin überschüssige Substanz wie eine zu hohe Liquidität aus nicht abgeschöpften Unternehmensgewinnen.
Fazit
Die in diesem Beitrag aufgeführten Argumente von Firmenverkäufern sind leider weit verbreitet und praxisrelevant. Manchmal werden sie sogar von Fachpersonen geäussert, was die Macht dieser Glaubenssätze noch verstärkt. Das führt zu falschen Preisvorstellungen, gescheiterten Firmenverkäufen und Frustrationen allenthalben. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, dass verkaufswillige Unternehmer sich für die Bewertung ihres Unternehmens an eine neutrale, fachkundige und im besten Fall praxiserprobte Person wenden, welche Wunschdenken von Fakten trennt. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Verkäufer mit realistischen Preisvorstellungen und sachlich korrekten Argumenten für seine Firma in den Verkaufsprozess und künftige Preisverhandlungen einsteigt.